„Kann es sein, dass die Party vorbei ist? Warum Facebook, Instagram und Co. plötzlich sehr alt aussehen“, titelt die ehrwürdige „Zeit“ weiter in ihrer letztwöchigen Ausgabe.
Was steckt dahinter? Neben strategischen Änderungen wie etwa der demnächst folgenden Wahlfreiheit für User von Instagram, die ihnen den Erhalt politischer Inhalte freistellen wird, und der Abkehr im großen Stil von Anzeigenkunden bei X (ehemals Twitter) schätzt das US- Marktforschungsunternehmen Gartner, dass bis zum Jahr 2024 die Hälfte der Verbraucher ihren Social-Media-Konsum erheblich einschränken oder ganz aufgeben wird (Zitat „die Zeit“, 15.2.2024).
Der „Economist“ schreibt kürzlich über „the end of social network“. Die Kurzzusammenfassung – ich zitiere abermals die „Zeit“ – lautet, dass soziale Medien soeben in einen sozialen und in einen medialen Teil zu zerfallen begonnen haben. Die ganz eigene Magie des Zusammenschließens von persönlichen Interaktionen mit massenmedialer Kommunikation (und somit auch Botschaften von Unternehmen) wird nun wieder in seine zwei Bestandteile aufgebrochen. Hier die private Kommunikation unter Freunden (und zwar „echten“ Freunden), dort die mediale Funktion, die ehemals – und vielleicht bald wieder – den klassischen Medien vorbehalten ist.
Denn User ziehen sich mehr und mehr zurück in die Nahkommunikation, ins Überschaubare. Und da gibt es bereits die ersten Plattformen einer völlig neuen Generation. Junge wenden sich bereits „BeReal“ zu, das als Gegenentwurf zum auf alles auf Hochglanz polierenden Instagram gilt. Dort teilen Nutzer authentische Schnappschüsse aus ihrem Leben und sie kommunizieren mit 20 bis 50 anderen, die sie kennen, anstatt der halben Welt ihre auffrisierten Selfies zu präsentieren. Der offizielle Claim von BeReal lautet „BeReal won’t make you famous“. Auch wenn es eine Nischenapp bleiben mag, steht BeReal für eine Veränderung in Richtung Zurück-ins-Private und spricht auch bewusst von „friends“ (ein Terminus, den ja Facebook ursprünglich gewählt hatte, bevor man zu „followers“ gewechselt ist). Auch ältere Nutzer sehnen sich laut Experten nach Begrenzung ihrer Reichweite, Herzerl Zählen hat scheinbar seine Attraktivität verloren. Und eine weitere neue App nennt sich „Amo“ und wirbt mit „just friends“. Genauso wie Whatsapp-Gruppenchats sind diese Plattformen weiterhin „sozial“, aber sie beschränken sich auf überschaubare Umfelder ihrer Nutzer.
Der Medienwissenschaftler Ian Bogost, so die „Zeit“, beschreibt die Entwicklung von Facebook & Co. von der Plattform für die Online-Organisation der privaten Geburtstagsparty zum riesigen digitalen Rundfunk-Kanal, über den Milliarden Menschen das, das sie für wichtig halten (das mit dem „für wichtig halten“ ist nun meine Interpretation), senden und quittiert dies mit „plötzlich hielten sich mehrere Milliarden Menschen für Prominente, für Experten, für Trendsetter“. Für Tik Tok gilt das weiterhin, aus dem Kinderzimmer erreichen Tik Tok-Stars ein Millionenpublikum mittels Geschäftsmodell, in Endlosschleifen Videoclips auf die Menschheit loszulassen. Allerdings kann man zwar dort einzelnen Akteuren folgen, aber der Algorithmus bedient sich des Suchverhaltens und beglückt seine User mit der immerwährend gleich schmeckenden Kost. Reiz-Reaktions-Muster werden einfachst bedient, eine Interaktion bzw. Vernetzung der User wird nicht gefördert. Das alles kopiert Instagram mit seinen Reels und protokolliert schön, was man sich wie lange angesehen hat, um dann eifrig mehr vom Selben in den Feed zu werfen. Die „Zeit“ spricht diesbezüglichen von sozialen und von „postsozialen Medien“. Erstere hatten die Interaktion der Nutzer im Sinne, Letztere wissen aufgrund unseres Nutzungsverhaltens, was uns gefällt und kübeln uns damit zu (Im Übrigen erleben wir das ja auch mit Alexa, die uns dann „Ähnliches“ vorschlägt, aber das ist wieder eine andere Geschichte).
Ein ehemaliger Snapchat-Manager, so weiter die „Zeit“, klagt darüber, dass sich nur noch alles um „Mini-Videos, mit denen Nutzer ihre überhitzten, verwirrten Gehirne ruhigstellen“, dreht. Wer das nicht will, zieht sich in kleine, geschlossene Räume zurück.
Es scheint, als wäre die Ära der sozialen (und postsozialen) Medien an ihr Ende gekommen, schlussfolgert die „Zeit“ anhand der Expertisen, die sie subsummiert. Die Frage, was als Nächstes kommt, bleibt jedoch derzeit noch unbeantwortet. Eine Theorie lautet, dass wir uns wieder in Sender und Empfänger, also Autor und Leser, Creator und Konsument, aufspalten werden. Was möglicherweise Rückenwind für die klassischen Medien (damit meine ich Print und elektronisch) bedeuten könnte und wohl auch zu einer neuen Bewertung hinsichtlich der Verteilung von Marketingbudgets führen könnte.
Noch eine abschließende Bemerkung: ich fasse in diesem Blog-Beitrag einen Artikel aus der "Zeit" zusammen, der ohne kostenpflichtiges Abo nicht online gelesen werden kann, setze mich selbst jedoch auch aktiv immer wieder mit der Thematik (oder Problematik?) der sozialen Medien und deren Auswirkungen in diverser Hinsicht auseinander, studiere Marktforschung zum Thema etc. . Und als Marketeer und Bürger betrachte ich die Entwicklungen aus zweierlei Perspektiven.
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